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Die Schweiz steuert unaufhaltsam in Richtung Wohnungsnot

Donnerstag, 10.11.2022

Knappheit, Inflation und steigende Zinsen werden die Mieten bald kräftig steigen lassen. Derweil steigen die Preise am Eigenheimmarkt zögerlicher an. Die Nachfrage nach Renditeobjekten sinkt indes und übt Druck auf die Preise und Bewertungen aus.

Wohnraum wird in der Schweiz immer knapper. Die Leerstände sinken rapide und damit steigen neben den Eigenheimpreisen jetzt auch die Mieten. Im Umfeld extrem hoher Baulandpreise, rigider Bau- und Zonenordnungen sowie einer einsprachefreudigen Bevölkerung war die Wohnbautätigkeit schon seit längerer Zeit stark rückläufig. Die dynamisch wachsende und auf immer grösserem Raum lebende Schweizer Bevölkerung benötigt deutlich mehr Wohnungen als aktuell auf den Markt kommen. «Das höhere Zinsniveau und die Bauteuerung mindern die Anreize für den Wohnungsbau zusätzlich. Gleichzeitig treiben der akute Fachkräftemangel und der Krieg in der Ukraine die bereits starke Zuwanderung nach oben. Wir steuern mit Vollgas auf eine Wohnungsnot zu», sagt Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. Die vollständige Studie `Immobilien Schweiz 4Q 2022` findet sich unter diesem Link.

Leerwohnungsziffer sinkt markant

Knappheit ausserhalb der besten Lagen ist am Mietwohnungsmarkt ein noch jüngeres Phänomen. Durch den Mietwohnungs-Bauboom des letzten Jahrzehnts stiegen die Leerstände noch bis vor zwei Jahren kontinuierlich an. Die Ende der 2010er-Jahre eingeleitete starke Drosselung der Wohnungsproduktion widerspiegelt sich nun zeitverzögert, dafür umso deutlicher im knappen Angebot an freien Mietwohnungen. Die landesweite Leerwohnungsziffer ist seit Jahresbeginn von 1.54% auf 1.31% gefallen. Dieser rekordhohe Rückgang betraf vor allem Mietwohnungen, da im Eigenheimmarkt die Leerstände bereits extrem tief sind. «In vielen regionalen Mietwohnungsmärkten herrscht schon Wohnungsknappheit, in einigen gar regelrechte Wohnungsnot. So weisen zum Beispiel die Kantone Genf, Zürich und Zug Mietwohnungs-Leerstandquoten von deutlich unter 1% auf», weiss Neff. Und er prognostiziert: «Bis 2024 dürfte die Leerwohnungsziffer schweizweit die 1-Prozent-Marke unterschreiten.»

Mieten dürften kräftig steigen

«Wer umzieht, wird schon bald mit deutlich höheren Anfangsmieten konfrontiert werden», ist Neff überzeugt. Aber auch bei bestehenden Mietverhältnissen würden die Mieten in absehbarer Zeit spürbar steigen. So müsse im ersten Quartal 2023 aufgrund der deutlich anziehenden durchschnittlichen Hypothekarzinsen mit einer erstmaligen Erhöhung des hypothekarischen Referenzzinssatzes auf 1.5% gerechnet werden. Mieten, die auf dem jetzigen Referenzzinsniveau basierten, dürfen vom Vermieter dann gemäss Mietrecht um rund 3% erhöht werden. Hinzu komme der gesetzlich erlaubte Ausgleich der Teuerung und der allgemeinen Kostensteigerungen. Einigen Bestandsmietern drohten bis ins Jahr 2024 Mietzinserhöhungen um bis zu 10%.

Eigenheimmarkt verspürt eine zaghafte Abkühlung

Völlig spurlos geht die Erwartung eines anhaltend höheren Zinsniveaus laut Neff auch am Eigenheimmarkt nicht vorüber. Mittlerweile seien erste Entspannungszeichen auszumachen. So sei etwa die Zahl der aktiven Suchabonnements für Wohneigentum auf Onlineportalen im Vergleich zum Vorquartal um rund 6% gesunken. Auch Verkäufer schienen bei ihren Preisvorstellungen allmählich kompromissbereiter zu sein. Die Angebotspreise für Einfamilienhäuser seien im dritten Quartal 2022 erstmals seit langem leicht gesunken (-1.5% gegenüber dem Vorquartal). «Die Entwicklung bei den Angebotspreisen ist ein erstes Indiz dafür, dass sich die Preisdynamik etwas abschwächt. Es ist also durchaus möglich, dass wir in einem der nächsten Quartale auch einmal ein negatives Vorzeichen bei den Transaktionspreisen sehen werden. Das wäre zwar ein Novum in der jüngsten Geschichte der Eigenheimmärkte, der Trend der Preiseentwicklung wird aber auch künftig weiter nach oben zeigen», so Neff. Denn Wohneigentum bleibe in der Schweiz weiterhin sehr knapp. Obwohl einige Private in Anbetracht der Zinswende das hohe Preisniveau nutzten, um mit einem Verkauf Profit zu machen, dürfe dies angesichts der weiterhin sehr regen Nachfrage kaum reichen, um die Preisdynamik umzukehren, glaubt Neff.

Immobilienanlagen sehen eine Zeitenwende

Am Markt für Renditeliegenschaften zögen dagegen dunklere Wolken auf, fährt Neff fort. Mit dem abrupten Ende der Negativzinsära habe sich das Marktumfeld für direkte Immobilienanlagen stark verändert. Das zeige sich unter anderem in einer drastischen Bewertungskorrektur bei Schweizer Immobilienfonds: «Lag die Marktkapitalisierung aller kotierten Immobilienfonds im Herbst 2021 noch rund 45% über ihrem Nettoinventarwert, ist diese Differenz bis Ende Oktober 2022 auf 11% abgestürzt. Vieles spricht aktuell für einen deutlichen Nachfragerückgang bei Anlageobjekten. Durch die gestiegenen Finanzierungskosten zahlen sich heute viele fremdfinanzierten Investitionen nicht mehr aus. Insbesondere das für Private in den letzten Jahren sehr lukrative Buy-to-let-Modell rechnet sich heute in vielen Fällen kaum noch.»

Institutionelle Anleger dürften zurückhaltender werden

Aber auch bei institutionellen Anlegern müsse mit grösserer Zurückhaltung gerechnet werden, erklärt Neff: «Die rekordtiefen Anfangsrenditen der letzten Jahre dürften angesichts attraktiver gewordener Alternativen, wie zum Beispiel festverzinsliche Wertpapiere, bei Investoren auf deutlich weniger Akzeptanz stossen als noch im Tiefstzinsumfeld. Die Goldgräberstimmung des letzten Jahrzehnts geht in diesem Markt zu Ende.» Es sei mit deutlichem Druck auf die Transaktionspreise und damit auch auf die Bewertungen in den Immobilienportfolios zu rechnen, stellt Neff fest. Der Markt werde allerdings durch die erwartete Mietzinsentwicklung gegen unten abgestützt. Und Neff schliesst: «Die künftig steigenden Erträge dürften den Markt für Renditeliegenschaften vor einem Absturz bewahren.»

 

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