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«Ein Drittel der Schweizer Firmen betrachtet ältere Erwerbstätige als Wettbewerbsnachteil»

Dienstag, 11.12.2018

Obwohl sich der Arbeitskräftemangel auch in der Schweiz vergrössern wird, bestehen gegenüber älteren Arbeitskräften Vorurteile. Dabei sind gerade sie bei der Arbeit hochmotiviert. Knapp ein Drittel will über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten.

Tiefe Arbeitslosigkeit, hohe Löhne und qualifizierte Arbeitskräfte: Der Schweizer Arbeitsmarkt ist in guter Verfassung. Allerdings stehen noch einige Bewährungsproben an. Die Digitalisierung wird von einer grossen Mehrheit der Erwerbstätigen verstärkt andere und neue Kompetenzen erfordern. Die Nachfrage nach Beschäftigten mit ausgeprägten Kompetenzen im Bereich Kreativität, sozialer Intelligenz sowie im Umgang mit digitalen Technologien steigt. Schon heute haben einzelne Branchen wie ICT oder das Gesundheitswesen Schwierigkeiten bei der Personalsuche. Zudem wird die Alterung der Erwerbsbevölkerung eine bessere Nutzung bisher nicht ausgeschöpfter Arbeitskräftepotentiale unausweichlich machen, besagt die neue Deloitte-Studie «Motiviert, optimistisch und pflichtvergessen». Sie basiert auf einer Befragung von 15’000 Personen in Europa, davon 1000 aus der Schweiz. 

Bis 2030 fehlt rund eine halbe Million Arbeitskräfte

2016 sind in der Schweiz erstmals mehr inländische Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden als nachgerückt. Geht es so weiter, fehlt bis 2030 rund eine halbe Million Arbeitskräfte. Unternehmen müssen anfangen, nicht nur darüber nachzudenken, wie sie die richtig ausgebildeten, sondern zukünftig überhaupt genügend Arbeitskräfte finden. «Eine zentrale Strategie besteht darin, bestehende, aber untergenutzte Arbeitskräftepools besser auszuschöpfen. Viel Potential gibt es bei Frauen, älteren Arbeitskräften sowie bei den Teilzeitangestellten», sagt Myriam Denk, Leiterin ‘Future of Work’ bei Deloitte Schweiz.

Im bestehenden aber untergenutzten Arbeitskräftepool liegt enormes Potential

Um den drohenden Arbeitskräftemangel zu bewältigen, wurden schon verschiedene Optionen debattiert; dabei sind längere Arbeitszeiten wohl keine geeignete Lösung und eine Anhebung des Rentenalters scheint kurzfristig unmöglich. Auch eine Erhöhung der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte scheint politisch derzeit nicht mehrheitsfähig. «Die zunehmende Automatisierung wird auf dem Arbeitsmarkt zwar einen Strukturwandel auslösen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Automatisierung die Auswirkungen des demographischen Wandels vollständig kompensieren kann», ergänzt Denk.

Frauen und Arbeitnehmer ab 55 Jahren machen einen grossen Teil davon aus

Wie kann man dem zukünftigen Arbeitskräftemangel also entgegenwirken? «Wir sehen in dem bestehenden aber untergenutzten Arbeitskräftepool ein enormes Potential. Dieses liegt hauptsächlich bei der ‹stillen Reserve› und bei den Erwerbstätigen, die Teilzeit arbeiten und ihr Pensum erhöhen könnten. Frauen und Arbeitnehmer ab 55 Jahren machen einen grossen Teil davon aus», erklärt Michael Grampp, Chefökonom bei Deloitte Schweiz und Autor der neuen Deloitte-Studie.

Laut Grampp sind viele bereits (früh)pensioniert, so dass sie nicht aktiv auf Arbeitssuche sind, sich aber durchaus vorstellen könnten, zu arbeiten. Um die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer auf einem hohen Niveau zu halten, sei es allerdings unerlässlich, dass sie bei Gehaltsvorstellungen und Arbeitszeiten flexibel seien, so Grampp.

Unternehmen müssen die Altersfrage überdenken

Gemäss der Deloitte-Befragung möchten 27% der über 50-Jährigen in der Schweiz über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten – die hoch qualifizierten Arbeitskräfte sind dabei stark übervertreten. Darüber hinaus geben 85% der über 55-Jährigen an, dass sie bei der Arbeit motiviert sind, 89% mögen ihre Arbeit und 81% denken, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird – alles deutlich höhere Zahlen als bei allen anderen Altersgruppen.

Vorurteile vieler Arbeitgeber gegenüber älteren Arbeitnehmern sind unbegründet

Nicht mehr genügend qualifiziert, zu wenig motiviert, nicht flexibel genug – die Vorurteile vieler Arbeitgeber gegenüber älteren Arbeitnehmern seien unbegründet, betont Denk. Unternehmen müssten ihre Einstellung zu dieser demographischen Gruppe unbedingt überdenken. «Wer ältere Erwerbstätige weiterhin als nachteilig wahrnimmt und sich bei der Rekrutierung ausschliesslich auf jüngere fokussiert, begeht einen strategischen Fehler», so Denks Fazit.

Doch für viele Schweizer Unternehmen gelten ältere Arbeitskräfte derzeit nicht als wertvolle Ressource. Laut den Human Capital Trends 2018 von Deloitte betrachtet ein Drittel der Schweizer Unternehmen ältere Arbeitnehmer als Wettbewerbsnachteil. Dies liegt deutlich über dem internationalen Durchschnitt von 20%. Zudem greifen gemäss der aktuellen CFO-Umfrage von Deloitte nur gerade 20% der Schweizer Unternehmen zur Linderung des Fachkräftemangels auf die bewusste Rekrutierung von ältere Arbeitsnehmern und anderen alternativen Gruppen zurück.

Flexiblere Karrieremodelle sind erforderlich

Von den 27% der über 50-Jährigen in der Schweiz, die auch über das Rentenalter hinaus arbeiten möchten, wollen 51% so arbeiten wie bisher, während 35% nur ihr Pensum reduzieren wollen. Wenn sie die freie Wahl hätten, bevorzugten 27% der über 55-Jährigen eine Teilzeitanstellung, 15% Freelancing, 10% die Selbständigkeit und 18% eine Portfolio-Karriere.

Entscheidend für Unternehmen ist es demnach, die traditionellen Arbeitsmodelle neu zu gestalten, um dadurch auch für weitere Arbeitsgruppen attraktiver zu werden. «Unternehmen müssen mehr Karrieremodelle anbieten, die es den Mitarbeitern erlauben, länger und flexibler zu arbeiten. Sie müssen auch ihre Personalstrategie anpassen, um ein längeres Erwerbsleben zu ermöglichen und unbewusste Vorurteile beim Rekrutierungsprozess zu reduzieren», erläutert Denk.

Verantwortung und Entlohnung könnten schrittweise reduziert werden

Zu den alternativen Karrieremodellen für die über 55-Jährigen gehören so genannte «Bogenkarrieren» – bei denen Arbeitsbelastung, Verantwortung und Entlohnung schrittweise reduziert werden, Job-Sharing mit jüngeren Nachfolgern zum Wissenstransfer oder Rollen als Coach oder Mentor. Denkbar wäre auch, einen Pool von interessierten pensionierten Arbeitskräften zu bilden, um deren Know-how bedarfsorientiert («gig basis») zurück ins Unternehmen zu holen.

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