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EL-Reform: Der Nationalrat schwenkt auf die Linie des Ständerats ein

Montag, 10.09.2018

Der Nationalrat hat sich in der Beratung zur Ergänzungsleistungsreform für eine deutliche Erhöhung der anrechenbaren Beträge ausgesprochen. Der Anteil jener EL-Bezüger, die ihre Miete damit decken können, vergrössert sich damit deutlich.

National- und Ständerat sind sich einig, dass die Ausgaben für die Ergänzungsleistungen (EL) gedrosselt werden müssen. Seit dem Jahr 2000 haben sich diese verdoppelt. Gründe sehen Beobachter in der Zunahme der Bezüger aufgrund der Alterung der Bevölkerung und in Reformen wie der 5. IV-Revision. IV-Rentner, denen infolge dieser Revision die Leistungen gekürzt wurden, sind seither teilweise auf EL angewiesen. Bund und Kantone richten an jene Menschen EL aus, bei denen die IV- oder AHV-Rente nicht zur Existenzsicherung ausreicht. 

Anteil der EL-Bezüger die Miete decken können steigt

Der Nationalrat möchte die Ausgaben der EL jedoch stärker drosseln als der Ständerat. Die Beschlüsse der grossen Kammer würden im Jahr 2030 zu Einsparungen von rund 330 Millionen Franken für Bund und Kantone führen und die EL-Ausgaben sich bis dahin auf etwa 6,4 Milliarden Franken belaufen. Demgegenüber will der Ständerat rund 180 Millionen einsparen. Dieser Unterschied bleibt auch nach der ersten Runde der Differenzbereinigung bestehen.

In der zweiten Beratung hat sich der Nationalrat nun dennoch für eine deutliche Erhöhung der anrechenbaren Beträge ausgesprochen. Damit können 86% der EL-Bezügerinnen und -Bezüger ihre Miete decken. Das ist heute nicht der Fall.

So macht Travail Suisse darauf aufmerksam, dass die Mietzinsen seit 2001 im Durchschnitt um fast 25% angestiegen seien. Die anrechenbaren Mietzinsmaxima müssen nach Meinung des Dachverbands der Arbeitnehmenden dringend erhöht und an die steigenden Mietzinsen angepasst werden. 

Nationalrat folgte dem Ständerat nur knapp

FDP und SVP wollten beim ursprünglichen Entscheid des Nationalrats bleiben und jene Beträge, welche EL-Bezüger an ihre Wohnungsmieten anrechnen dürfen, lediglich um monatlich 100 Franken erhöhen. Das heute gültige Maximum für Alleinstehende beträgt 1100 Franken pro Monat. Mit den Beträgen hätte fast ein Viertel der EL-Bezügerinnen und -Bezüger die Miete nicht decken können. 

Sozialminister Alain Berset warnte, dass damit das Existenzminimum nicht gewährleistet sei, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet. Das habe eine knappe Mehrheit überzeugt. Mit 99 zu 91 Stimmen sei der Nationalrat dem Ständerat gefolgt und habe die höheren Ansätze gutgeheissen.

Für Kinder gibt es weniger Geld

Beim Lebensbedarf von Kindern blieb die grosse Kammer hingegen hart. Mit 130 zu 58 Stimmen entschied der Nationalrat, die Ansätze für Kinder bis elf Jahre zu senken. Jene für ältere Kinder bleiben zwar gleich hoch. Den vollen Betrag gibt es aber nur für das erste Kind, für alle weiteren wird der Ansatz schrittweise gekürzt. Im Gegenzug will der Nationalrat bei der EL die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung berücksichtigen.

Travail.Suisse bedauert diesen Entscheid. Kinder sollten trotz EL-Bezug der Eltern nicht unter prekären Bedingungen aufwachsen müssen, so das Argument. Der Ständerat solle an seiner Haltung festhalten.

Vermögende erhalten keine EL

Viele andere Elemente der EL-Reform bleiben umstritten. So will der Nationalrat keine EL gewähren, wenn jemand über 100'000 Franken Vermögen hat. Der Ständerat lehnt die Vermögensschwelle ab.

So auch Travail.Suisse. Der Nationalrat habe diese Bestimmung gegen den Ständerat beschlossen. Das Vermögen werde bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens bereits stark berücksichtigt. Die Lösung des Ständerats bezüglich EL-Bezüger/-innen mit Wohneigentum sei zudem viel einfacher und habe fast die gleichen Wirkungen.

BVG-Guthaben kann weiterhin als Kapital bezogen werden

Einig sind sich die Räte darüber, dass das Guthaben der obligatorischen beruflichen Vorsorge nach den heutigen Regeln als Kapital bezogen werden kann. Der Nationalrat will den EL-Anspruch aber um 10% kürzen, falls das Kapital vorzeitig verbraucht worden ist.

Travail.Suisse lehnt eine pauschalisierende Bestrafung eines früheren Kapitalbezugs mittels zehnprozentiger Kürzung der EL-Zahlungen dezidiert ab. Der Nationalrat habe diesen Punkt leider entgegen dem Ständerat bestätigt und eine Differenz belassen. Diese Massnahme sei unausgegoren und nicht durchdacht. So gelte die Kürzung selbst bei einem weit zurückliegenden, geringfügigen Kapitalbezug. Travail.Suisse will sich im Ständerat nun dafür einsetzen, dass dieser Punkt gestrichen wird.

Fallengelassen hat die grosse Kammer die Bedingung, dass nur Anspruch auf EL hat, wer zuvor zehn Jahre lang AHV bezahlte. Damit würden die Kosten bloss in die Sozialhilfe und damit zu Kantonen und Gemeinden verlagert, gab Bea Heim (SP/SO) offenbar zu bedenken. SVP-Sprecherin Herzog hatte dafür plädiert, «Sozialtourismus» zu verhindern. Es dürfe nicht sein, dass sich ausländische Staatsangehörige kurz vor der Pensionierung ins Schweizer Sozialsystem einschmuggelten.

Nationalratsentscheide sind am «untersten verträglichen Niveau»

Für Travail.Suisse sind die Entscheide des Nationalrates am untersten verträglichen Niveau. Die Existenzsicherung und ein würdevolles Leben im Alter sollten auch mit dieser EL-Reform gewährleistet sein. Es dürfe kein Nebeneinander von EL und Sozialhilfe geben. Mit den bisherigen Beschlüssen des Nationalrats sei dies jedoch der Fall. Dennoch nimmt der Verband zur Kenntnis, dass der Nationalrat in wichtigen Punkten dem Ständerat gefolgt ist und damit einen Kahlschlag verhindert hat. Die Vorlage geht nun wieder an den Ständerat.

Übersicht der finanziellen Auswirkungen der Beschlüsse des Nationalrats zur EL-Reform: Link.

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