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«Es gibt einen übergeordneten Trend in Richtung Transparenz, Harmonisierung und Erhöhung des Anlegerschutzes»

Mittwoch, 08.08.2012

Die verschärfte EU-Regulierung MiFID II tangiert auch Schweizer Finanzdienstleister, wie Christian Röthlin von Ernst & Young Schweiz gegenüber vorsorgeexperten.ch erklärt. Sie bereiten sich besser heute schon auf das künftige Finanzdienstleistungsgesetz vor.

Herr Röthlin, das EU-Regulierungsvorhaben MiFID II stellt die Finanzinstitute vor grosse Herausforderungen. Dieses Regulierungswerk, das vor allem auf den Kundenschutz ausgerichtet ist, soll in den EU-Mitgliedsstaaten ab 2015 umgesetzt werden und einen grossen Teil der an Privatanleger vertriebenen Finanzinstrumente umfassen. Worum geht es dabei?

MiFID steht für "Markets in Financial Instruments Directive". Als Richtlinie muss sie also in nationales Recht umgesetzt werden. MiFID I trat per 1.11.2007 in Kraft und ist ein Eckpfeiler der Finanzmarktstrategie, welche die Europäische Union verfolgt. Es geht insbesondere darum, den Anlegerschutz zu verbessern, Transparenz-Vorschriften zu verstärken sowie nationale Bestimmungen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zu harmonisieren. Wie man inzwischen aber festgestellt hat, wurden die Ziele, die man mit MiFID I erreichen wollte, noch nicht ausreichend erreicht. Die Europäische Kommission hat diese Richtlinie deshalb überarbeitet, was in MiFID II resultierte. Diese Richtlinie wird in ihrem Entwurf auf europäischer Ebene noch heftig diskutiert. Noch ist nicht klar, wie der Regulierungstext letztlich aussehen wird.

Wann wird man den definitiven Regulierungstext kennen?

Den finalen Regulierungstext wird man voraussichtlich Ende dieses Jahres kennen. Bis zu Beginn des ersten oder zweiten Quartals 2015 wird dann wohl die Umsetzung in nationales Recht erfolgt sein. Im Gegensatz zu MiFID I wird die neue Finanzmarktrichtlinie MiFID II aber nicht nur als Richtlinie [engl. „Directive“] sondern auch als Verordnung [engl. „Regulation“] – die so genannte MiFIR – daherkommen. Eine Verordnung  ist direkt anwendbar, d.h. darin geregelte Punkte müssen nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden. Dies bedeutet auch, dass die Anwendbarkeit der MiFIR Bestimmungen zu einem früheren Zeitpunkt, voraussichtlich Q4 2013, erfolgen wird.

Was wird sich mit MiFID II ändern?

Inhaltlich knüpft MiFID II an die Vorgängerrichtlinie an. Dennoch nimmt MiFID II auch neue Marktstimmungen auf. Das betrifft insbesondere den Anlegerschutz, was für schweizerische Finanzdienstleister neue Herausforderungen schafft. Namentlich stehen für Schweizer Institute, die in Europa domizilierte Kunden aus der Schweiz heraus betreuen, die drei Themen Markzutritt, Beratung und Zuwendungen im Fokus.
Marktzutritt bedeutet dabei: Wer aus der Schweiz heraus aktiv Kunden im EU-Raum betreuen will, braucht dafür eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat. Beratung bedeutet dabei: Es ist dem Kunden gegenüber offenzulegen, ob das Institut abhängig oder unabhängig agiert. Im ersten Fall gibt es keine Änderungen. Tritt ein Institut indessen unabhängig auf, muss es eine genügend grosse Anzahl an Produkten analysieren und darf keine Zuwendungen Dritter entgegennehmen. Zuwendungen bedeuten dabei: Falls Entschädigungen für den Vertrieb von Produkten Dritter fliessen, kann ein inhärenter Interessenskonflikt vorliegen. Deshalb sollen solche Anreize bei unabhängiger Beratung und bei Vermögensverwaltungsmandaten verboten werden.

Wie schon gesagt, wird die genaue Ausgestaltung von MiFID II derzeit noch äusserst kontrovers diskutiert. In der Frage, ob künftig zwischen unabhängiger oder nicht unabhängiger Beratung unterschieden werden muss, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Weiter wird momentan anstelle eines Verbots von Drittzuwendungen eine Verschärfung der Transparenzvorschriften oder die Weiterleitung der Zuwendungen an die Kunden in Betracht gezogen.

Wann sind Schweizer Banken von MiFID II betroffen?

MiFID II gilt wie die Vorgängerrichtlinie innerhalb des EWR. Für Schweizer Banken, die im europäischen Wirtschaftsraum Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften mit der entsprechenden Bewilligung betreiben, sind diese Vorschriften für die entsprechenden Niederlassungen direkt und zu 100% anwendbar. Daneben gibt es auch einen indirekten Anwendungsbereich. Dieser tangiert in der Schweiz domizilierte Finanzdienstleister, die im EWR domizilierte Kunden aus der Schweiz heraus betreuen möchten. In diesem Zusammenhang ist das Luganer Übereinkommen zu nennen. Denn über das Luganer Übereinkommen mit seiner erweiterten Konsumentendefinition in Verbindung mit dem europäischen Kollisionsrecht kann z.B. deutsches Recht unter gewissen Voraussetzungen eben auch dann zur Anwendung kommen, wenn die mit den Kunden abgeschlossen Verträge eine Schweizerische Gerichtsbarkeit vorsehen und Schweizer Recht vereinbart wurde.

Der Entwurf der MiFID II sieht für Finanzdienstleister, welche im EWR domizilierte Kunden direkt aus der Schweiz heraus betreuen, schlussendlich vor, dass sie im EWR eine entsprechende Zweigniederlassung haben müssen, um Kunden aktiv angehen zu können, wozu schon der Vertrieb von Marketingmaterial zählt.

Sie sprechen von Regularien und Recht. Was ist mit dem operativen Geschäft der Bank?

Es stellt sich die Frage, ob es sich für ein Schweizer Finanzinstitut abhängig vom Geschäftsmodell aus einer operationellen Sicht lohnt, zwei verschiedene Systeme, inklusive unterschiedlicher Prozesslandschaften, aufrecht zu erhalten. Das hat auf die Prozessabläufe und die Organisation eines Finanzinstituts ebenso Auswirkungen wie auf die Kundenberater, welche die Kunden nach verschieden Rechtsvorgaben beraten müssten, je nachdem ob es sich um einen in der Schweiz oder im EWR domizilierten Kunden handelt. Die Organisation wird dadurch viel komplexer. Das spielt bei den Überlegungen eines Finanzinstituts, ob es sich gesamtheitlich MiFID-compliant verhalten will oder nicht, sicherlich eine Rolle.

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat zum Kundenschutz im Finanzsektor ein Positionspapier herausgegeben. In welchem Zusammenhang steht dieses zu MiFID II?

Das FINMA Positionspapier greift viele der MiFID Bestimmungen auf. Insbesondere auch im Bereich Anlegerschutz, wozu Produktinformationen und Fragen zur Eignung von Empfehlungen ebenso zählen wie die vorgesehenen erhöhten Dokumentationspflichten. Dafür gibt es meines Erachtens zwei Gründe: In weitreichenden Untersuchungen zum Fall Madoff hat die FINMA festgestellt, dass es mit dem Anlegerschutz in der Schweiz noch nicht zum Besten bestellt ist. Zweitens will man das Anlegerschutzniveau in der Schweiz dem europäischen angleichen. Die Idee dahinter ist, dass unter anderem damit das Schweizerische Aufsichtssystem als gleichwertig mit den europäischen Aufsichtsnormen anerkannt wird. Diese Gleichwertigkeit ist nämlich eine der zentralen Bedingungen, zumindest gemäss Entwurf der MiFID II, damit Schweizer Finanzdienstleister, welche im grenzüberschreitenden Dienstleistungsgeschäft aktiv tätig sind, überhaupt eine Zweigniederlassung gründen können. Um eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen, empfiehlt die FINMA, diese Bestimmungen in ein Finanzdienstleistungsgesetz aufzunehmen.

Kann man demnach von einem Trend sprechen, der Richtung mehr Transparenz geht?

Richtig. Es gibt einen übergeordneten Trend in Richtung Transparenz, Harmonisierung und Erhöhung des Anlegerschutzes. Diese Grundtendenzen erkennt man sowohl in MiFID I und MiFID II als auch im FINMA-Positionspapier.

Auch die Beratung von ausländischen Kunden durch Banken, die in der Schweiz domiziliert sind, soll qualitativ verbessert werden. Was bedeutet das?

Ganz allgemein soll das Niveau der Beratung in der Schweiz verbessert werden, unabhängig davon, ob es sich um ausländische oder in der Schweiz beheimatete Kunden handelt. Entsprechende Vorgaben finden sich im Positionspapier der FINMA. Es geht konkret darum, dass Kundenberater im Rahmen einer Prüfung nachweisen müssen, dass sie z.B. genügend Kenntnisse über die Grundsätze der Finanzplanung sowie über die vertriebenen Produkte haben. Das entsprechende Fachwissen soll durch Weiterbildungen verbessert werden und die Kunden sollen anhand eines öffentlich zugänglichen Registers überprüfen können, ob die Kundenberater die geforderten Qualitätsstandards erfüllen.

Welche Finanzprodukte sollen von MiFID II erfasst werden?

Dazu gibt es einen entsprechenden Anhang zum Regulierungstext, welcher die durch die MiFID erfassten Finanzinstrumente aufführt. Darunter fallen insbesondere übertragbare Wertpapiere, Geldmarktinstrumente sowie Derivativkontrakte. MiFID II hat die Produktpalette noch um die sogenannten strukturierten Einlagen erweitert. Das sind Produkte die im Wesentlichen wie Derivate funktionieren.

Was bedeutet das, wenn Produkte unter MiFID fallen?

Vereinfacht gesagt haben Finanzdienstleister im Rahmen ihrer MiFID relevanten Tätigkeit für Produkte, die unter den Anwendungsbereich der MiFID fallen, die Vorgaben der MiFID einzuhalten. Ein anschauliches Beispiel dafür sind z.B. die Regeln bezüglich Behandlung und Offenlegung von Zuwendungen oder Inducements bzw. geldwerten Anreizen. Für Produkte, die nicht unter den Anwendungsbereich der MiFID fallen, können gerade in diesem sensitiven Bereich weitaus weniger restriktive Regeln gelten.

Sollen sogenannte Inducements künftig verboten werden?

Wie gesagt, wird dieses Thema zurzeit kontrovers behandelt. Nebst dem im MiFID II Entwurf vorgesehenen eigentlichen Verbot von Zuwendungen im Bereich der Vermögensverwaltung bzw. unabhängigen Anlageberatung wird momentan auch eine Verschärfung der Transparenzvorschriften oder die Weiterleitung der Zuwendungen an die Kunden diskutiert. Geht man vom ursprünglich angedachten Verbot von Zuwendungen aus, würde dies z.B. für einen Vermögensverwalter bedeuten, dass dieser von einer Bank für die Abwicklung seines Mandats keine Zuwendungen oder eben keine Inducements mehr annehmen darf. Dasselbe gilt, wenn sich eine Bank gegenüber ihren Kunden als in der Beratung unabhängig erklärt. In einem solchen Fall darf eine Bank keine Zuwendungen, etwa seitens Produktanbieter, mehr annehmen.

Welchen Einfluss hat das auf die Anlageprodukte?

Sollten solche Zuwendungen verboten werden, stellt sich unter anderem die Frage, was mit dem eingesparten Geld seitens der Produktanbieter geschieht. Im Falle von Fondsleitungsgesellschaften  wäre zumindest denkbar, dass die Managementgebühren, aus welchen die Zuwendungen an den Vertrieb üblicherweise bezahlt werden, nach unten angepasst werden. Das würde schliesslich dazu führen, dass die Fonds rentabler werden, was mit der Idee des erhöhten Anlegerschutzes  natürlich in Einklang steht. Ob dieses Szenario tatsächlich eintreffen wird, hängt nebst der Frage, ob das Verbot tatsächlich kommt, auch davon ab, ob und wie sich der Markt diesbezüglich bewegen wird.

Kann ein Finanzdienstleister wählen, ob er unabhängige oder eben nicht unabhängige Beratung erbringen will?

Ja. Der Finanzdienstleister muss seinen Kunden unter MiFID II mitteilen, ob er unabhängig oder nicht unabhängig berät, d.h. der Finanzdienstleister hat diesbezüglich ein Wahlrecht.

Fallen Versicherungsprodukte auch unter die Bestimmungen von MiFID II?

Nein. Versicherungsprodukte fallen nicht unter die MiFID-Bestimmungen.

Was ist mit Produkten der 3. Säule?

Produkte der 3. Säule fallen grundsätzlich ebenfalls nicht unter den Anwendungsbereich der MiFID.

Kundenschutz ist ja grundsätzlich etwas Gutes. Gibt es denn auch Kritikpunkte an diesem Gesetzeswerk?

Wann immer neue Regularien geschaffen werden, bedeutet das für Marktteilnehmer, die diese umsetzen wollen oder müssen, auch Aufwand. Es handelt sich dabei um kostenintensive Projekte, welche auf die Prozesse eines Unternehmens, auf seine Produktpalette, auf die Ausbildung seiner Mitarbeitenden und schliesslich auf die Kontrolle und Überwachung dieser Vorschriften innerhalb des Unternehmens Auswirkungen haben. Die Bestimmungen zur Erhöhung des Anlegerschutzes bergen aber nicht nur negatives. Sie erlauben einer Bank auch, ihre Kunden noch besser kennen zu lernen und die Qualität ihrer Dienstleistungen zu erhöhen, was gegenüber Konkurrenten schliesslich zum Differenzierungsmerkmal werden kann.

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