Sie befinden sich hier: Startseite » Aktuelle Themen » Artikel

Witwer müssen Witwen bei AHV-Renten gleichgestellt werden

Donnerstag, 22.10.2020

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab der Klage eines Witwers aus der Schweiz statt. Denn Witwer erhalten eine Rente nur so lange, wie die Kinder Minderjährig sind. Witwen sind da bessergestellt. Das ist eine Diskriminierung.

In der Schweiz werden verwitwete Personen ungleich behandelt und somit diskriminiert. Zu diesem Schluss kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Er hat die Beschwerde eines Witwers aus Appenzell Ausserrhoden in der Schweiz gutgeheissen. Dieser hatte geklagt, weil er sich bei der Ausrichtung einer Witwerrente gegenüber weiblichen Personen ungleich behandelt sah.

Geltendes Schweizer Recht sieht den Mann noch als Versorger des Paares

Der Mann hatte nach dem Tod seiner Frau die beiden Kinder betreut und vorerst eine Witwerrente erhalten. Er erhielt diese allerdings nur, solange wie die Kinder noch minderjährig waren. Mit dem 18. Geburtstag der jüngeren Tochter erlosch sein Anrecht auf die Witwerrente. 

Anders bei Witwen. Sie bekommen die Rente auch dann, wenn die Kinder schon erwachsen sind. Sie erhalten selbst ohne Kinder eine Rente. Dies entspricht geltendem Schweizer Recht. Dieses basiert auf der Annahme, dass der Ehemann für den Lebensunterhalt aufkommt. Ohne den Mann benötigt die Witwe folglich eine Rente für den Unterhalt. Für den klagenden Witwer widerspricht dies jedoch der Gleichstellung von Mann und Frau.

EGMR gibt dem Witwer Recht

Das sieht der EGMR genauso. Für den Gerichtshof entspricht diese Sichtweise nicht mehr den heutigen Gegebenheiten und die Ungleichbehandlung verstosse gegen die Menschenrechtskonvention. Die Konvention sei ein «lebendiges Instrument», mit dem die Umstände unter dem aktuellen Blickwinkel behandelt werden müssten.

EGMR widerspricht Bundesgerichtsurteil

Mit dem Urteil widerspricht der EGMR einem früheren Bundesgerichtsurteil aus dem Jahre 2012 (9C_617/2011 04.05.2012). Es hatte die Beschwerde des Beschwerdeführers abgewiesen. Zwar sah auch das BGER im geltenden Recht eine ungleiche Behandlung von Witwen und Witwern. Es verwies jedoch darauf, dass der Gesetzgeber im AHV-Gesetz explizit nach dem Geschlecht unterschieden und damit eine der Bundesverfassung zuwiderlaufende Bestimmung verabschiedet habe. Bundesrichtern sei es nicht gestattet, Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen.

Das Urteil kann nun an die Grosse Kammer des EGMR weitergezogen werden. Dafür hat der Bund drei Monate Zeit.

Anzeige
 
Twitterdel.icio.usgoogle.comLinkaARENAlive.comMister Wong
Copyright © 2011-2024 vorsorgeexperten.ch. Alle Rechte vorbehalten.